1 Beschreibung der Ortsgemeinde Tschernitz (bis 1945)
1.1 Entwicklung des Ortsnamens, der Siedlung und Bevölkerung
Tschernitz entstand als eine der frühesten Ansiedlungen in unserem Gebiet am nördlichen Rande des (später sog.) Kommerner Sees. 1250 wurde es erstmals urkundlich als Cyrnin erwähnt, und zwar in der Schenkung des böhmischen Königs Wenzel I. an das Zisterzienser-Stift Ossegg. Später kam Tschernitz an das Postelberger Kloster der Benediktiner. Dieses verkaufte das Dorf Czirnczin 1325 an den Deutschen Orden in Komotau. Seit 1409 gehörte Tschernitz zur Pfarrei Obergeorgenthal, später auch zum gleichnamigen Schulbezirk.
1459 wird der Ort als Czernicz bzw. Czirnicz, 1555 als Czirnicze und 1578 als Tschirnitz geschrieben. Nach verschiedenen Besitzwechseln (Herrschaft Komotau, Smolik von Slawitz, Herrschaft Rothenhaus, Vitzthum von Eckstätt, J. von Wressowitz und Hochhauser von Hochhausen) kam Tschernitz 1623 zur Eisenberger Herrschaft der Grafen und späteren Fürsten von Lobkowitz. In der Steuerrolle von 1654 (Berni rula) lautete der Ortsname Ztssyrnice, aber schon 1720 erschien in der Karte des Königreiches Böhmen der Name Tschernitz.
Ab 1919 – in der 1. CSR – lautete die amtliche Bezeichnung Cernice, und in den Katasterkarten erschien bis 1938 die tschechisch-deutsche Bezeichnung Cernitz.
Der Ortsname Tschernitz könnte sich von dem slawischen Personennamen Cern herleiten, was der Schwarze bedeutet, und die Endung -ice auf die Sippe des Cern hindeuten. Da jedoch Tschernitz unter lauter deutschen Neugründungen lag, ist wohl die Ableitung (v. Prof. Meder) aus dem mittelhochdeutschen Scherne (kahle Stelle) plausibler; daraus wurde Tscherne und später Tschernitz. Für eine deutsche Gründung und Besiedlung sprechen nicht nur die weit überwiegenden deutschen Personennamen, sondern auch die fast 200 deutschen Flur- und Waldnamen.
Tschernitz bestand zunächst aus dem unteren oder Bauerndorf, wo sich zeitweise auch ein Meierhof (bei HsNr. 10) befand. Mit dem Alaunbergbau (1647- ~ 1800) entstand langsam das obere oder Arbeiterdorf. Im 19. Jh. bildeten sich die Siedlungen an Flößbach und in Marienthal, seit 1828 benannt nach Maria von Lobkowitz, geb. von Lichtenstein.
1771 hatte Tschernitz 52 numerierte Häuser und 1898 schon 62 Häuser mit 294 Einwohnern
(EW). 1930 zählte Tschernitz in 102 Häusern insgesamt 624 EW. Davon waren 532 Deutsche (85 %) und 84 Tschechen (14 %). 555 Bewohner (89 %) waren römisch-katholisch, 8 evangelisch (1 %) und 61 (16 %) konfessionslos. Die Bevölkerungsdichte betrug damals, auf die gesamte Katasterfläche (714 ha) bezogen, 87,4 EW/km², ohne die Lobkowitzschen Waldungen (528 ha) jedoch 337 EW/km² (landwirtschaftl. Nutzfläche ca. 160 ha).
Im Westen und Süden bildete der Flößbach streckenweise die scharfe Grenze zwischen der ostfränkischen und der obersächsischen Mundart bzw. zwischen dem Nordwestböhmischen und dem Nordböhmischen. Er war zugleich auch ein Teil der natürlichen Grenze zwischen Nordwestböhmen und Nordböhmen.
Tschernitz hatte eine gemischte Wirtschaftsstruktur. Die Leute arbeiteten in der Land- und Forstwirtschaft, im Bergbau, im Handwerk, im Handel und in der Industrie. Das Dorf hatte einige Handwerksbetriebe und Mühlen sowie eine Fabrik, die unter den Gebr. Dollfus zunächst Holzessig herstellte und später als Geflei tierische Abfälle verwertete. Im Dorf gab es außerdem drei Gasthäuser, davon zwei mit Fleischerei, und fünf Kaufläden (Kolonial- und Haushaltswaren). Es hatte eine Kapelle, ein Kriegerdenkmal und zeitweise eine tschechische Volksschule mit Kindergarten.
Bei Kriegsende 1945 wohnten in Tschernitz fast 1000 Personen: neben den einheimischen Deutschen und Tschechen auch Evakuierte aus den bombardieren Städten, Flüchtlinge aus Schlesien, Kriegsgefangene (Franzosen) und Ostarbeiter (Polen und Ukrainer). – Waren im 1.Weltkrieg erst 11 Deutsche gefallen oder vermißt, so forderte der 2. Weltkrieg 45 Todesopfer und Vermißte und der tschechische Terror nach Kriegsende 1945/46 nochmals 12 deutsche Opfer (s. Abschn. 3).
Erste Tschernitzer Heimatortsbetreuerin (nach Karl Ullrich für die Gemeinde Ulbersdorf) war von 1972 bis 1991 Maria Knabe (Beer), Landshut. Seit 1996 hat Tschernitz ein Signet („Wappen"), das die historisch-geographischen Besonder-heiten der Ortsgemeinde (Bergbau, Mühlen, Landwirtschaft mit Obstbau, Wälder, Kapelle, Wasserflächen u.a.) symbolhaft und anschaulich darstellt. Es wurde in Zusammenarbeit von HOB Dr. Friedrich Frank, seiner Frau Maria und dem Kunstmaler und Heraldik-Fachmann Adolf Sachs, Platten/Stuttgart, gestaltet (siehe Abb. 1).
1.2 Lage und Gliederung der Katastral- und Ortsgemeinde siehe Karte1
Tschernitz liegt an einem Steilabfall des mittleren Erzgebirges und war bis 1945 die nordöstlichste Katastral- oder Ortsgemeinde des Gerichtsbezirkes Görkau und des politischen Bezirkes bzw. Kreises Komotau. Es liegt ca. 2 km südwestlich von Obergeorgenthal, 14 km nordöstlich von Komotau und 10 km nordwestlich von Brüx. Die Katastergemeinde (Gemarkung) grenzt im Süden und Westen an die Gemarkungen Ulbersdorf und Eisenberg, Gerichtsbezirk Görkau, im Nordwesten an die Gemarkungen Nickelsdorf und Gebirgsneudorf, Gerichtsbezirk Katharinaberg, und im Osten an die Gemarkung Obergeorgenthal, Gerichtsbezirk Oberleutensdorf; jeweils politischer Bezirk Brüx.
Tschernitz (Cernice) gehörte zur politischen Gemeinde Ulbersdorf, die aus den Katastral- und Ortsgemeinden Eisenberg , Ulbersdorf und Tschernitz bestand. Eisenberg hatte 1930 nur 195 EW, aber eine Fläche von 1040 ha, meist Wald, Ulbersdorf 873 EW mit 444 ha, meist LN, und Tschernitz 624 EW mit 714 ha, zu ¾ Wald.
Geschichtlich bedingt, gehörte Tschernitz seit 1409 zur Pfarrei Obergeorgenthal (‚Jerten‘; c. Horni Jiretin); dort waren Pfarrkirche und Pfarramt, Volks- und Bürgerschule, Post- und Telegraphenamt, Sparkasse, Bahnhof sowie ein städtisches Elektrizitätswerk.
Die Ortsgemeinde Tschernitz bestand aus drei getrennt liegenden Ortsteilen:
1. die geschlossene Ortschaft Tschernitz an der Bezirksstraße 13 von Bartelsdorf nach
Obergeorgenthal und beiderseits der Bahnlinie Komotau-Ossegg, welche die Ortschaft in
das jüngere obere oder Arbeiterdorf und in das ältere untere oder Bauerndorf teilte; sie lag
zwischen 245 m und 285 m über dem Meer (siehe Karte 2);
2. die Siedlungen am Flößbach, von der Brettsäge bis zur Geflei (250-370 m; s. Karte 3);
3. der Ortsteil Marienthal südwestlich der Alten Straße, von der Grundmühle bis zum Hegerhaus (366-440 m ü. M.; siehe Karte 4).
1.3 Höhenverhältnisse, Nutzungsarten und Klima (siehe Karte 1)
Der höchste Berg der Gemarkung Tschernitz ist der Kapuziner(hau)berg oder Tschernitzhübel mit 741 m ü. M. Weitere Erhebungen sind der Draxelsberg (676 m ü. M.), der Saazer Berg (682 m, nordöstlich des Flachsgrundes) und der Sattelberg (567 m ü. M.). Bekannte Felsen waren der Einsiedlerfelsen (~ 520 m ü. M.), von dem man eine bis 80 km weite wunderbare Aussicht hatte, der Kanapeefelsen und der Biederstein an der Unteren Waldstraße. Zwischen dem Kapuzinerhauberg, dem Einsiedlerfelsen und dem Hegerhaus am Eichbusch war der Steilabfall des Erzgebirges mit einer durchschnittlichen Steigung von 37 %.
Die tiefste Stelle befand sich am südöstlichsten Ende der Gemarkung bei 231 m ü. M.
Von der Gesamtfläche von 713,52 ha (=100 %) waren rd. 528 ha (~75 %) Waldungen der ehemaligen Fürsten von Lobkowitz (Herrschaft Eisenberg-Neudorf an der Biela), die größtenteils oberhalb der geologischen und Gelände-Bruchlinie bei 300 m ü. M. schon zum Erzgebirge gehörten. Daran schlossen sich nach Südosten die hängigen bis leicht geneigten Baumfelder (‚Reichmacher‘) an, und dann folgten die Äcker und Wiesen (mit Weiden), also die landwirtschaftliche Nutzfläche (LN) mit zusammen rd. 164 ha (~23 %). Die Bauflächen mit den (Haus)Gärten umfaßten rd. 8,3 ha (~1,2 %), die Bahn-, Wege- und Wasserflächen, Teiche und sonstigen unproduktiven bzw. steuerfreien Flächen nahmen rd. 13,4 ha (~1,9 %) ein. An Teichen sind zu nennen: Alaun- und Schifferhüttenteich, die beiden Sandteiche in der Waldlage Fichten, die Mühlteiche am Flöß- und Ruttenbach sowie der Dorf- oder Gemeindeteich (Feuerlöschteich).
Der gebirgige Teil von Tschernitz (~300-741 m ü. M.) besteht aus Gneis, die Böden des Flachlandes hauptsächlich aus Lehmen und Sanden mit unterschiedlichem Steinanteil.
Südöstlich von Tschernitz schloß sich die Obergeorgenthaler bzw. Brüxer Ebene und das Nordwestböhmische Braunkohlenbecken an, das von Klösterle im Südwesten über Komotau, Brüx und Teplitz bis Aussig im Nordosten reichte. Die Gemarkung Tschernitz erstreckte sich also vom Flößbach im Westen bis zum Ruttenbach im Nordosten und von den Höhen des Erz-gebirges bis in die Ebene der sog. Seewiese, ein Höhenunterschied von über 500 m! Dem Erz-gebirge gegenüber lagen die westlichen Ausläufer des Böhmischen Mittelgebirges.