Techniken - Unsere Menschen

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Handarbeits- Techniken
Gorlstube
Gorlnähen
Perltaschenherstellung
Knepp stachen
Urheber der Fotos sind leider nicht bekannt.
Friederike Wagner, Regensburg schreibt:

Als der Bergsegen im Erzgebirge erlosch, blieb den armen Bewohnern nur der Broterwerb durch Heimarbeit. Neben Holzschnitzerei und Drechselei blieben den Leuten Handarbeiten wie Häkeln und Stricken und natürlich das Klöppeln. Diesen Hauptzweig führten sowohl Frauen, Männer und Kinder aus.Daneben verbreitete sich auch das Posamentieren, ein Oberbegriff für Näh- und Webarbeiten. Es gab Schulen, in denen man das Gewerbe erlernen konnte. Der Mundartdichter Reinhold Illing (ein Zeitgenosse Anton Günthers) hatte in Kupferberg eine Fabrik für Posamentierer und Heimarbeiter. Hergestellt wurden auf Webstühlen besonders Perl- und Flittertaschen. Sie waren ein ertragreicher Exportartikel für Amerika.
Vorarbeit dazu war dazu wohl das "Gorlnähen". Auf besonderen Schnüren wurden "Potterle aufgefadelt" (Erzeugnis aus Gablonz). Dies taten oft schon 6 jährige Kinder, die z.B. 10 weiße und 1 rote auffädelten. Die Kinder bekamen "De Zohl" auf, d.h. sie sie durften erst andere Arbeit machen wenn sie soundsoviel Meter gefädelt hatten. Aus diesen Perlenschnüren webte man auf "Benalinstoff" Taschen, Kragen, Spitzen u.v.m. Vielleicht erinnern sich auch manche an die Zierbehänge aus Perlen um unsere Petroleumlampen.


Die "Gorlschlingerei" brachte im Erzgebirge neben Klöppeln, Musikinstrumentenbau
und Holzschnitzerei Broterwerb für viele Familien. Oben am Bild ein Gorlräder oder Böckel
Sanssouci: Posamenten für das Bett von Prinz Heinrich von Preußen

Sanssouci: Fransen für das Voltaire Zimmer.
Auf Muster (wie z.B. bei Klöppelbriefen) wurden z.B. Kragen aufgezeichnet, die dann mit "Schlauchschnüren" und Verbindungsnähten hergestellt wurden. Auch Schulterklappen wurden so hergestellt. Das war reine Hausarbeit. Hauptgebiete dieser Arbeiten waren die Gegenden um Sonnenberg, Platz, Kupferberg, Schmiedeberg, Weippert (mit Fabriken) und Gottesgab.

Walter Schmidt, Ortsbetreuer für Reizenhain schreibt :
Gorlnähen war also Schnüre auf Kleider aufbringen, die die Form von Blumen und Ornamenten haben. Sie dienten bei Trachtenkleidung zur Verschönerung der Kleidung.
Die sogenannten "Gorl" (Kordel) wurden aus farbigen Seidenfäden zu Schnüren in unterschiedlicher Stärke und verschiedenen Mustern zusammengedreht. Diese in Heimarbeit gefertigten Schnüre wurden auf Gewänder, Uniformen, Hüte usw. aufgenäht und zwar in verschiedenen Mustern.
In unserer Heimatgemeinde Reizenhain wurde das Gorlnähen besonders im 19. Jahrhundert ausgeübt. Erst die industrielle Fertigung brachte diese Handarbeit zum Erliegen. Mit dem Aussterben dieser Handarbeit ist auch der Ausdruck "Gorl" nur noch schwer erinnerbar. Nur noch ältere Landsleute kennen ihn.
Die "Gorlschlingerei" brachte im Erzgebirge neben Klöppeln, Musikinstrumentenbau und Holzschnitzerei Broterwerb für viele Familien. Oben am Bild ein Gorlräder oder Böckel

Margit Riha aus Seestadtl schreibt :

Im großen Brockhaus von 1930 findet sich folgende Notiz: Gorl, Gorlspitzen > Gimpe, ein mit farbiger Seide, auch mit Gold- oder Silberlahn umsponnenes Baumwollgarn, das u.a. zu Kleiderbesätzen verwendet wird.
Gimpelspitzen, Gorlspitzen, Guipere= Gipürespitzen, nachgeahmte Reliefspitzen, sind meist geklöppelte Spitzen (Klöppelgorl) aus Gimpe.
Laut Langenschedt ist guiper-mit Seide überspinnen, Guipere

         1. Art übersponnene Seidenspitze

          2. erhabene Stickerei.


Dr. Bettina Levin,  Sehmatal- Sehma schreibt:

Das Herstellen von Posamenten in Handarbeit aus Schnuren nannte man Gorlnähen. Hierzu gab es einen Gorlbrief, eine Vorlage aus dickerem Papier, auf dem die Schnuren angeheftet, zusammengenäht und das fertige wieder davon abgetrennt wurde. Im Gegensatz zu Klöppelbriefen wurden diese Vorlagen stärker beansprucht und ließen sich durch den höheren Verschleiß nur wenige Male verwenden.
Zitat aus Eduin Siegel: Zur Geschichte des Posamentiergewerbes mit besonderer Rücksichtnahme auf die erzgebirgische Posamentierindustrie. Graser Verlag Annaberg 1892:
"Beim Gorlnähen wird der sogenannte Brief, ein starkes Cartonpapier mit aufgezeichnetem Muster, mit Faden, Schnur, Litze u. dergl. nach der Zeichnung belegt und durch Überstechen das Material an bestimmten Punkten in dieser Lage befestigt (aufgeheftet). Diese erste Arbeit nennt man das Aufreihen. Hierauf folgt das Zusammennähen des aufgereihten Materials an den Berührungspunkten, wobei gleichzeitig etwaiger Perlbesatz mit angebracht werden kann. Zuletzt besorgt man den noch fehlenden Aufputz und die Ausfüllung. Ist das Muster fertig, so wird es vom Brief gelöst (abgetrennt, abgereiht). Der Brief kann mehrmals verwendet werden. Derartige Arbeit nennt man Nähgorl. Man fertigt solchen in Matt (ohne Perlbesatz), in Halbmatt (mit wenig Perlbesatz) und ganz mit Perlen (bezw. Schmelz) besetzt.
Eine andere Art von Gorl ist der Schlinggorl. Denselben stellt man mit der Hand an einem Gerät, dem sogenannten Böckel, auf folgende Weise her: Ein fester Zwirnsfaden, gleichsam die Kette, wird durch Gewicht straff gespannt. Auf diesen Kettenfaden legt man alsdann Schnur, Faden oder Litze quer in verschiedenen Bogen nach rechts und links. Bei jedem so gebildeten Bogen wird letztgenanntes Material durch einen zweiten Zwirnsfaden an dem Kettenfaden festgeschlungen. Zerreißt der Kettenfaden beim Schlinggorl, so löst sich das Muster auf. Schlinggorl-Muster können im Vergleich zur Näharbeit nur einfacher Art sein."


Es gab sowohl einzelne Stücke, z.B. für Kragen, Kleiderbesatz, die freihändig gearbeitet wurden, als auch längere Borten aus Gorl, wozu man das Gorlrad oder Böckel verwendete. Hierauf war der Gorlbrief befestigt. Man arbeitete rundherum und trennte das fertige Stück wieder ab. Die Arbeit ging so fortlaufend an der viele Meter langen Borte aus Gorl weiter.

Gorl wurde im gesamten böhmischen und sächsischen Erzgebirge  ab ca. 1840 in Heimarbeit im Erzgebirge gefertigt. Die Heimarbeiter erhielten vom Verleger Material und Gorlbriefe und fertigten die Waren nach deren Vorgaben.

Perltaschen wurden im böhmischen Erzgebirge in Weipert, Schmiedeberg, Kupferberg und Köstelwald hergestellt. Für die Herstellung gab es unterschiedliche Techniken. Beim Weben von Perltaschen auf dem Jaquardwebstuhl verwendete man einfarbige Perlschnüre. Das Muster wurde durch eine Jaquardmaschine gesteuert. Das Anfädeln von einfachen Perlschnüren war keine Handarbeit. Das erledigten Maschinen.
Das "Potterle auffädeln", eigentlich richtig "Patterle* auffädeln", diente zur Herstellung von handgehäkelten Perltaschen. Hier gab es Mustervorlagen oder Hefte mit Beschreibung, in welcher Reihenfolge aufgefädelt werden mußte. Diese Tätigkeit war häufig Kinderarbeit. Das Häkeln zu Pertaschen übernahmen dann meist Frauen in Heimarbeit.
Für Lampenfransen wurden ebenfalls Perlschnüre nach Muster angefädelt werden.

* Patterle ist ein alter Ausdruck für Perlenschnur. Im Wortstamm steckt Paternoster = Rosenkranz, der eigentlich eine aufgefädelte Perlenkette darstellt


Knepp stachen

Das "Kneppstachen" stand mengenmäßig bei den Handarbeiten an erster Stelle. Aus Holz gefertigte runde und längliche Knöpfe, auch Oliven genannt, mußten mit dünner Schnur in verschiedenen Farben umstochen werden. Diese Tätigkeit erforderte eine gewisse Fingerfertigkeit, denn die Liefertermine mußten eingehalten werden. Für den Lebensunterhalt war diese Heimarbeit von wesentlicher Bedeutung.


Mustervorlage für eine Perltasche
Gorlborte- Perlen
Gorlrad (Schloß Wildeck, Zschopau)
Fädelheft für Perltaschen
Gorlborte Perlen

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Bettina Levin hat 3 neue Fotos hinzugefügt.
25.12.2017

Mein erster selbstgehäkelter Perlbeutel !
Ich habe ihn aus dem Grund angefertigt, um abzuschätzen, wieviel Aufwand für seine Fertigung aufgewendet werden musste.
Neben der Perlweberei war in den zwanziger Jahren das Perlenhäkeln die häufigste Fertigungstechnik für Perlbeutel. Damals sollen im Erzgebirge 9000 Menschen Perlbeutel gefädelt und gehäkelt haben, meist in Heimarbeit. Das Anfädeln mussten oft Kinder übernehmen.
Der Entwurf für die Mustervorlage stammt von Carl-Julius Arnold, Ober-Posamentiermeister aus Annaberg.
Ein bisschen Statistik, um zu begreifen, wieviel Arbeit in meinem Perlbeutel steckt:
• 8 Stunden lang 5472 Perlen in 7 Farben nach Mustervorlage Reihe für Reihe angefädelt
• 17 Stunden lang 67 Runden feste Maschen gehäkelt und dabei 85 m Häkelgarn verbraucht
Das ergibt eine Gesamtarbeitszeit von 25 Stunden für diesen recht kleinen Perlbeutel - 7,5 cm breit, 12 cm lang (ohne Behang).
Ich habe großen Respekt vor der Leistung unserer Vorfahren, die damit ihr Brot verdienen mussten!

 
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