Die Sudetendeutschen und der 4. März - Zeitzeugenberichte

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Die Sudetendeutschen und der 4. März

Wissen das eigentlich unsere Politiker?

Die Sudetendeutschen
und der 4. März 1919

von Gert Schrötter
Grausame Verbrechen gegen Völker- und Menschenrechte, begangen an den Sudetendeutschen, sind unauslöschlich mit der Geschichte der Tschechoslowakei verbunden. Mit Waffengewalt pressten die Tschechen 1919 die über 3,5 Millionen Sudetendeutschen in ihren gerade gegründeten Staat, in denen die Sudetendeutschen nie leben wollten. 1945/46 jagten die Tschechen die Sudetendeutschen – immerhin ein Drittel des Staatsvolkes – begleitet von unbeschreiblichen Massakern als vogelfreie Bettler über die Grenze. Erst also die Zwangseingliederung einer Volksgruppe in den ungeliebten Staat, dann nur 26 Jahre später, die totale Entrechtung eben dieser Volksgruppe und deren Vertreibung – das hat es in der europäischen Geschichte bis dahin nicht gegeben. Wissen das eigentlich unsere Politiker?
Nach dem Sturz der k- u .k. – Monarchie am Ende des Ersten Weltkrieges sollte alles anders werden in Europa, und die Pariser Friedenskonferenz sollte es richten. Im fernen Washington verkündete US-Präsident Wilson euphorisch das Recht der Völker auf Selbstbestimmung. Für die über 3,5 Millionen Sudetendeutschen bestand kein Zweifel von Anfang an, dass sie zu einem neu sich bildenden Deutsch- Österreich gehören wollten.
Einem Territorium, das von Villach im Süden, Bregenz im Westen, Reichenberg im Norden und Troppau im Osten reichen sollte. Während das Kerngebiet im Süden, das alte Österreich mit Wien als Hauptstadt, sich als komplettes deutsches Siedlungsgebiet darstellte, waren die sudetendeutschen Gebiete mal ein breiteres, mal ein schmaleres Band, das die junge Tschechoslowakei begrenzte.
Die neue Regierung in Prag mit Thomas G. Masaryk als ersten Staatspräsidenten an der Spitze und Eduard Benes als sein williger Helfer verfolgten von Anbeginn das Ziel, die sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei einzuverleiben, wohl wissend, dass ihr Staat ohne die hochindustriellen Sudetenländer gar nicht lebensfähig gewesen wäre. Es galt also, neue Grenzen zu markieren, vollendete Tatsachen zu schaffen, ehe die Pariser Friedenskonferenz sich an den Tisch setzte.
Böse Ahnungen erfüllten die Sudetendeutschen. Sie trauten nicht den lauthals von Masaryk und Benesch verkündeten Thesen, die Tschechoslowakei würde ein Staat werden nach bestem Schweizer Vorbild, mit gleichen Rechten für alle Bürger. Das Misstrauen der Sudetendeutschen war nur allzu berechtigt. Für den 4. März 1919 war in Wien die erste Sitzung des National-Parlaments für Deutsch- Österreich anberaumt worden. Kurzerhand verbot Prag den sudetendeutschen Abgeordneten daran teilzunehmen. Der erste Schlag gegen die Sudetendeutschen, ihr Selbstbestimmungsrecht. Folge: In den Sudetengebieten riefen die Sozialdemokraten zum Generalstreik, verbunden mit Kundgebungen in Städten und Landgemeinden auf. „Für Freiheit und Selbstbestimmung und gegen Unterdrückung".
Aus einem Aufruf: „…schweigend aber nicht stumm, richten sich heute Auge und Herz nach Wien, wo das freie Deutsch- Österreich zum ersten Mal die Vertreter des Volkes versammelt. So wollen wir heute zu Tausenden an den Kundgebungen teilnehmen, die sich gegen die Vergewaltigung unseres Rechts richten…."  Das Echo war gewaltig. Überall im Sudetenland, in Stadt und Land strömten die Menschen aller Parteien und aller Berufe auf Straßen und Plätze. „Wir wollen nicht Hörige anderer Nationen sein" und „Gegen Fremdherrschaft und Unterdrückung" so und so ähnlich war zu lesen auf den Spruchbändern, formulierten es die Sprechchöre. Den Tschechen war bewusst, dass sich die Sudetendeutschen nicht ohne Widerstand dem Prager Diktat fügen würden, in der Tschechoslowakei zu leben. So besetzte tschechisches Militär schon Anfang 1919 sudetendeutsches Territorium. Am 18. Januar 1919 begann die Pariser Friedenskonferenz zu deren Leitlinie US-Präsident Wilson den Satz formuliert hatte „…allen Völkern und Volksgruppen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und – gleichgültig ob sie stark oder schwach seien, Anspruch darauf haben, in Freiheit und Sicherheit leben zu können …" (Punkt 14 des Wilson-Programmes). Und dafür, nur dafür, gingen am 4. März 1919 die Sudetendeutschen auf die Straße, demonstrierten friedlich.

Das ursprüngliche Ehrengrab
Und dann geschah es: Ohne Vorwarnung schoss tschechisches Militär vielerorts in die Menge, darunter auf Frauen und Kinder. In Arnau, Aussig, Kaaden, Karlsbad, Mies, Neutitschein und Sternberg waren besonders viele Opfer zu beklagen, insgesamt 54 Tote wurden gezählt und über hundert Schwerverletzte, von denen viele später starben, weil sie Wundbrand bekamen oder extrem tiefe Schusswunden hatten. In einem Gutachten stellte der Chef des Komotauer Krankenhauses, Dr. Dobrauer, fest, dass die tschechischen Soldaten ihre Munition mit ätzenden Substanzen präpariert hatten, was den Wundbrand auslöste.
Es wird vermutet, daß die im Ersten Weltkrieg verbotenen Dum-Dum- Geschosse eingesetzt wurden, die besonders große Wunden rissen. Querschläger, die vom Straßenpflaster abprallten verurschten zusätzliche Wunden. In einer amtlichen Feststellung des Bürgermeisters von Kaaden, Eduard Hergl, ist dokumentiert: "Die von der tschechischen Besatzung im Norden und Süden des Ringplatzes versteckt postierten Maschinengewehre und auch die beim Rathaus, beim Postamt und allen Ausgängen des Ringplatzes aufgestellten tschechischen Militärposten eröffneten ohne jedes Kommando, ohne ein Warnungszeichen, ohne eine vorherige Aufforderung den Platz zu verlassen oder auseinander zu gehen jedem Völkerrecht und Menschlichkeitsgefühl zum Hohn, das mörderische Feuer … Mehr als 50 leblose Menschenkörper lagen tot oder sehr schwer verwundet am Platz… Unsere Stadt befindet sich in tiefer Trauer wegen des Hinmordens seiner unschuldigen Bevölkerung…"

Das neue Ehrengrab
Und der Sonderberater der US- Friedensdelegation für das Gebiet des ehemaligen Österreich-Ungarn, Prof. Dr. Archibald Coolidge, notierte nach einer Informationsfahrt durch die deutschen Gebiete: „...Würde man den Tschechoslowaken das ganze Gebiet zuerkennen, das sie beanspruchen, so wäre das nicht nur eine Ungerechtigkeit gegenüber vielen Millionen Menschen, die nicht unter tschechische Herrschaft gelangen wollen, es wäre auch für die Zukunft des neuen Staates gefährlich und vielleicht verhängnisvoll. Das Blut, das am 4. März 1919 geflossen ist, als tschechische Soldaten in mehreren Städten auf die deutsche Menge feuerten, ist auf einer Art und Weise vergossen worden, die nur schwer verziehen werden kann.
Mag auch im vergangenen November in deutschen Kreisen aus wirtschaftlichen Gründen eine gewisse Bereitschaft bestanden haben, die politische Gemeinschaft mit den Tschechen aufrecht zu erhalten, so ist sie heute so gut wie verschwunden…"
Schon vorher, am 7. März 1919, war in der Neuen Züricher Zeitung zu lesen: „Die Ereignisse in Deutsch-Böhmen und die Akte tschechischer Brutalität gegen deutsch-böhmische Demonstranten erregen die größte Erbitterung. Es ist zweifellos so, dass die tschechische Regierung beabsichtigt, ihre Gewalt- und Schreckensherrschaft aufs Äußerste zu treiben. Die Wirkung dieser unbeschreiblichen Gewalttaten kann selbstverständlich nur die sein, dass sich das Verhältnis zwischen Deutsch-Böhmen und der tschechischen Regierung unversöhnlich gestaltet und dass seit den Schießereien jede Möglichkeit einer Verständigung ausgeschlossen erscheint…"
Über diese und andere warnenden Stimmen setzte sich die Pariser Friedenskonferenz hinweg, zumal es dem smarten Eduard Benes gelang, den gutgläubigen Delegierten wieder und wieder die junge Tschechoslowakei als einen Staat nach Schweizer Vorbild zu verkaufen.
Derselbe Benes überredete 1944/45 die Siegermächte der Vertreibung der Sudetendeutschen, verharmlosend „Transfer" genannt, sozusagen als staatserhaltende Maßnahme zuzustimmen.
Einer der wenigen Tschechen, der, als die Grenzen gezogen, die Sudetendeutsche in die Tschechoslowakei gepresst worden waren, seine warnende Stimme erhob, war der Prager Publizist Frantisek Modracek. Er schrieb in der von ihm redigierten „Akademie": „…Ich kann die quälende Vorahnung nicht abschütteln, dass wir ungeheure Sorgen auf uns laden, dass unser Staat durch die jahrhundertealten Konflikte erschüttert werden, ängstlich auf jedes Wölkchen am internationalen Himmel blicken, sich ständig mit seinem Schicksal beschäftigen und um die Zukunft bangen wird. Ich fürchte, dass die nationalen Reibereien in unserem Staat uns zu verblendetem Chauvinismus führen werden, deren Keim wir heute schon säen…"
Wie recht er gehabt hat, war in der Behandlung der Sudetendeutschen durch die Tschechen schon sehr bald zu erkennen. Zur deutsch-tschechischen Tragödie mit all ihren Folgen hatte die Pariser Friedenskonferenz das Drehbuch geliefert.
Neue Gedenktafeln
 
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