Als wir in der Nacht des 7. Juni wachgepeitscht wurden, dachten wir wieder an einen der üblichen Appelle. Aber als wir einer Gruppe sich in den Raum drängender, uniformierter und bewaffneter Fremder ansichtig wurden, an ihrer Spitze der berüchtigte "Kokoff", der schon Jahre früher in Komotau gesehen worden war und der sich nun als Führer einer Parisanengruppe präsentierte, die schreiend ins Lager gekommen war, da erfüllten uns im Augenblick dunkle Ahnungen. Kokoff, ausgepräter Typ eines Balkanesen- rassiges Gesicht, dunkle Hautfarbe, ein nicht ganz blutreiner Tscheche, wie es heißt, führte das Wort hier. Er hatte anscheinend völlig freie Hand. Vom Lagerkommandanten ist nichts zu sehen. Heute kommandiert Kokoff. Das Käppi schief auf den Scheitel gesetzt , die Zigarette lässig im Mundwinkel hängen lassend, das Gewehr schwingend und laut rufend: "SS uns SA raustreten!", so polterte er mit seinem Anhang, darunter auch ein Mann in der Uniform eines Gendarmen, durch unseren Raum. "SS! Freiwillige SA!" schrie ein anderer dazwischen. Ob er Angehörige der SA- Standarte "Feldherrnhalle" gemeint hatte, die sich m.W. aus Freiwilligen rekrutierte? Oder meinte er die Heimat - SA , deren Angehörige ja auch Freiwillige waren? Aus den Nachbarstuben waren bereits mehr und mehr Männer auf den Hof hinausgetreten und zögernd, blaß vor Angst und Aufregung traten auf den neuerdings wiederholten Befehl auch in unserer Stube mehrere Männer vor. Die drei SS Männer, die zu unserer Zellengemeinschaft zählten und eine Anzahl von Männern unserer Heimat- SA. Andere, selbst bekannte SA-Führer, blieben in den Reihen stehen., obgleich die Partisanen gedroht hatten, die Lagerlisten zu holen und zu kontrollieren, ob sich alle die befohlenen Männer gemeldet hätten. In dieser Stunde gab es keinen Verrat. Wer geglaubt hatte, diesem Befehl folgend vortreten zu müssen, der ging. Und kümmerte sich nicht um den Nebenmann. Eine Verständigung untereinander war ohnedies nicht möglich. Es waren das Augenblicke von hochdramatischer Spannung, denn es war uns ziemlich klar, was nun kommen werde. Nach dem Antreten auf dem grell erleuchteten Hof folgte ein Nachtsport besonderer Art. Wir sahen alles durch das Fenster unserer Zelle. Und wir hörten auch die auf tschechisch gegebenen Kommandos "Nieder!" "Auf!" "Kniebeugen!" usw. Fort und fort. Dazwischen Peitschenschläge und wildes Schreien der Partisanen. Und dann sahen wir voll Entsetzen, wie man Mann um Mann mit der Pistole vor sich her , an den Fenstern unseres Raumes vorbei, ins freie Gelände trieb. Schüsse fielen. Immer mehr. Und immer wieder holten sich die Mörder neue Opfer.Kokoff hatte anscheinend die Anzahl derer, die ihm vors Gewehr mußten, sorgfältig gezählt. Jedenfalls brüstete er sich, als er nach diesem ersten Akt der Tragödie in dieser Nacht mit seinen Komplizen in die Stuben zurückkehrte, mit dem Hinweis darauf, daß er nun bereits 17 "selbst umgelegt" habe und daß er sich nun noch ein paar nehmen wolle. So bemächtigete sich nun der Männer in den Stuben ein neues, furchtbares Erschrecken. Kokoff und die Männer seines Kommandos, wohl zehn an der Zahl, hatten Blut gesehen. Sie hatten noch nicht genug an Opfern ihrer Mordlust. An jeder Wand stand noch eine Reihe Männer, an der Stirnwand, der gegenüber dem Tor, eine Doppelreihe und ich hier im 2. Glied. Ein Umstand, dem ich es, zum Teil jedenfalls, zu verdanken hatte, daß ich diese Nacht überlebte. Kokoffs Ungeduld, das grausame Morden fortzusetzen , war sichtlich groß.
Er ging, gefolgt von seiner Garde, lächelnd erst einmal quer durch den Raum, schlug dabei, so en passant, einem ehemaligen Polizeibeamten , den er wohl kannte, den Gewehrkolben mit derartiger Gewalt auf den Kopf, daß ich stark annahm, der Unglückliche wäre auf der Stelle tot gewesen. Dem war aber nicht so. Ich habe ihn bei einer späteren Gelegenheit wieder gesehen. Der Kolbenhieb war eigentlich ein Segen für ihn in dieser Nacht, denn als Verletzter , der wie leblos, mit aufgeschlagenem Schädel, in der Ecke lag, blieb er bei der folgenden Auswahl von Opfern Kokoffs außer Betracht. Und Kokoff brauchte noch Opfer. Während er mit zwei oder drei Männern seines Anhangs die Reihen durchkämmte, begann eine zweite Gruppe bei der Reihe gegenüber.Jeder einzelne der Männer wurde gefragt, wer er sei, wo er gearbeitet habe usw. Kokoff suchte Schuldige. Aber er war nicht sehr wählerisch. Sein Fragen war so eine Art Tarnung seines zügellosen Mordtriebes. Tatbestände konstruierte er verblüffend rasch. Sagte einer, er wäre soeben erst von der Front zurück gekommen, dann brauchte Kokoff nicht viel zu wissen. Denn er war ja auch, so erklärte er, Frontkämpfer. Nur gehörte er zu den anderen. Und da ihm der Deutsche mit der Waffe in der Handgegenüber gestanden, dünkte sich Kokoff in seinem Entschluß, den unschuldigen Heimkehrer nun sogleich niederzuknallen, genügend gerechtfertigt. Und so , wie er diesen einen zu Tode führte, so fand er auch bei vielen anderen, die er "verhörte", Beweise dafür, daß sie sich hinreichend schuldig gemacht hätten, um nun mit ihrem Leben zu sühnen.
Ein Arzt ist nun an der Reihe. Er trägt die Binde des Roten Kreuzes am Arm. Im Gespräch mit den Parisanen bedient er sich der tschechischen Sprache, die er gut beherrscht. Ich kann nicht verstehen, was gesprochen wird. Der Kokoff begleitende Gendarm kennt Dr. K. jedenfalls von früher her. In erregter Sprache wendet er sich diesem zu und schließlich mit den Worten: "Vy jste spatne clovek!" vollends der Mordgier Kokoffs zu überantworten. So mußte auch Dr. K. die Arme hochheben und im Laufschritt vor Kokoff her auf die Todeswiese laufen. Einer mußte sterben, weil er trotz seines tschechisch klingenden Namens als Deutscher treu zu seinem Volke stand. Drei Jungen, wohl kaum der Schule entwachsen, die angeblich weggeworfene Waffen aufgenommen und verborgen hatten und deshalb schon Tage vorher den unmenschlichsten Quälereien ausgesetzt waren, erhielten ebenfalls die Mordkugeln, obwohl sie bis zuletzt ihre Unschuld beteuert hatten. Und noch manch einer ging in dieser Stunde seinen letzten Weg. Die Toten mögen sich hinter den dunklen Mauern wohl schon zu Haufen getürmt haben
Wohl jeder von uns hatte in dieser Schreckensnacht mit seinem Leben abgeschlossen. Was konnte man noch tun? Flüsternd bittet man den Nebenmann, den Angehörigen letzte Grüße zu bestellen, so er das Glück haben sollte, das Massaker zu überleben. Und verspricht es für den anderen auch zu tun. Und dann sieht man, innerlich aufgewühlt, aber doch eigentlich ohne Furcht, den kommenden Augenblicken entgegen. Man hat sich mit allem abgefunden. Bald wird wohl der Schuß, der mir gehört, durch die Nacht peitschen. Nie mehr werde ich meine Lieben sehen...
Kokoff hatte bereits die Reihe , in der ich stand, in Bearbeitung genommen. Da kam einer der Lagerposten, der kleinste und wohl auch jüngste von allen, plötzlich in den Raum , seinen Gesten nach vielleicht alkoholisiert, Kokoff am Arm unterhakend und mit einer wegwerfenden Bewegung gegen uns, aus dem Raum zog. Kokoff ging erst zögernd, und dann, als ihm der Posten etwas zugeflüstert hatte, bereitwillig mit. Und mit ihm die Meute seiner Komplizen. Das war Rettung in höchster Not. Langsam löste sich die Spannung und es wurde ruhig. Die Ruhe des Todes lag über dem Lager. Man könnte sich wieder zum Schlaf legen. Aber es schläft keiner von uns mehr in dieser Nacht. Nur die da draußen ruhen, still und stumm.......
Am nächsten Morgen riefen die Posten Freiwillige zum "Verladen" der Leichen. Ein auffallend großer Wehrmachts- LKW mit einer Plane überspannt, ist in den Hof gefahren. An der Wiese hält er, um die Toten aufzunehmen. 74- sagen uns Kameraden, die bei dieser Arbeit beteiligt waren. Wohin man die Leichen gebracht hat, ist uns nicht bekannt geworden. Ein Massengrab auf dem Friedhof soll sie aufgenommen haben.