Mit Genehmigung des Eugen Diederich Verlages,Düsseldorf/Köln,dem Buch "Unterwegs" von Emil Merker entnommen.
9.Juni 1945: Komotau, der Samstag der vergangenen Woche. Eine neue Kundmachung ist auf den Anschlagsäulen angeklebt: Alle Deutschen männlichen Geschlechts vom 14. bis zum 65. Lebensjahr haben sich ausnahmslos bis 10 Uhr vormittags auf dem Jahnspielplatz einzufinden. Gegen die der Anordnung nicht Folge Leistenden... |
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Man leistete Folge und fand sich ein, vom Knaben bis zum Greis. Es kamen die Burschen und Männer aus Werkstatt, Fabrik, Geschäft, Büro. Es kamen die Geistlichen, die Ärzte aus dem Krankenhaus, Geradegewachsene, Krüppel, Gesunde und Kranke, soweit sie vermochten, sich herbeizuschleppen. Es kamen, halb aus Angst und halb aus Zutrauen alle, die ganze männliche Einwohnerschaft der Stadt; mit Flüchen, Gelächter und Kolbenstößen empfangen und zu Haufen zusammen getrieben. |
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Höhere tschechische Offiziere trafen ein, einer hielt in gebrochenem Deutsch eine Ansprache: Nun sei die Stunde der Rache gekommen; aber nicht Rache solle geübt werden , nur Vergeltung.... |
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Kommando: Deutschlandlied, Führerdank im Sprechchor, Hitlergruß. Und man stimmte an: "Deutschland, Deutschland über alles..."! und hob den Arm, und sprach im Chor: "Wir danken unserem Führer!" |
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Dann beginnt es: "Ausziehen, Hemd herunter! Suche nach dem SS Mal. Und Gummiknüppel, Hundepeitschen, Geißeln saußen nieder. Gebrüll, Gelächter der mehr und mehr in Rausch und Extase Geratenden; Schreie der Zusammenbrechenden. Blutunterlaufene, zu einer unkennlichen Masse anschwellenden Leiber, blutüberstömte Rücken, Schultern, von denen die Hautfetzen hängen. |
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"Hitlerjunge?" Der Halbwüchsige, von Kindheit an gelehrt, immer die Wahrheit zu sagen, bebt sein Ja hervor. Da pfeift ihm auch schon die Hundepeitsche übers Gesicht. Ein Mann arbeitet sich aus dem Haufen, den Buben mit seinem Leib zu decken. Es ist der Vater. Einander umschlungen haltend stürzen sie unter den niederhagelnden Hieben zusammen. |
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Einem anderen, einem großen Blonden wird ein Hitlerbild in die Hände gedrückt: Ob er den kenne? Sicher habe er ihm den Eid der Treue bis in den Tod gelobt; "Los, avanti, lauf!" Er läuft, und die Heibe prasseln auf ihn nieder. "Bruderherz, laß ihn mir!" "Mir,mir!" jauchzt man einander zu. Er bricht in die Knie, rafft sich wieder auf, läuft, das Bild in den Händen, im Zickzack, ein ratloses Tier in Todesnot; taumelt, stürzt, liegt, den Mund , wie ihm befohlen, zum Kuß auf das blutbesudelte Bild gedrückt. Ein Fußtritt ins Genick bereitet ihm das Ende. "Erledigt!" |
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Sie sterben zu schnell. Man muß es anders machen. Kübel kalten Wassers werden über die Verröchelnden geschüttet, sie wieder zum Leben zu erwecken. Einem völlig Entblößten wird unter entfesseltem Gejohle mit einem Messer ein Hakenkreuz in die Haut gerissen, darauf die klaffende Wunde mit Salz bestreut. Ein anderer hat eine noch glorreichere Idee: Er knüllt eine Zeitung zusammen, zündet sie an und hält sie dem Sterbenden unter das Geschlecht.
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Die Straße ist voller Staub, denn es hat lange nicht geregnet. Er bedeckt den Fahrdamm knöcheltief. Darum Kommando:"Nieder!" | |
Das Gesicht muß tief hinein gedrückt werden, denn ganz dicht über die Köpfe hinweg knallen die Maschinenpistolen. Man ist erfinderisch geworden, mit immer neuen Späßen. Hie und da hebt sich trotzdem ein Gesicht, vielleicht aus unüberwindlichem Ekel vor dem Staub, vielleicht aus dem Wunsch, nicht weiter zu müssen, hier auf der Straße verenden zu dürfen. Der Wunsch wurde prompt erfüllt. | |
Stellenweise ist frisch geschottert. Da wird Halt kommandiert. Schuhe aus, über den Schotter barfuß! Warum sollen nicht nur die Rücken, Köpfe und Nacken bluten? Warum nicht auch die Füße? Als diese Strecke zurück gelegt ist, erschallt das Kommando:"Kehrt, dieses Stück noch einmal!" | |
Der Fremde, der hier in unserer halbdunkeln Stube mühsam berichtete, war einer von denen, die an der Straße hatten liegenbleiben wollen. Aber der Schuß hatte ihn nur gestreift. Man hatte den Bewußtlosen als abgetan erachtet. |